Nachfolgend ein Beitrag für die (Hobby-)Philosophenrunde Melle im Oktober 2020.

Thema der Veranstaltung: Die Bedeutung der Arbeit für den Menschen.

Wer zunächst den Einführungstext der Meller Philosophenrunde lesen möchte, kann dies hier tun: Vorschau

Mein Beitrag:

 

 

Die Bedeutung der Arbeit  für den Menschen?

Laut Friedrich Engels hat sie „den Menschen selbst geschaffen.“0

 

Von zentraler Bedeutung war zunächst der aufrechte Gang. „Damit war der entscheidende Schritt getan für den Übergang vom Affen zum Menschen.

 

Bevor nun Anhänger von Seth (Jane Roberts' Seth) oder Armin Risi sich mit Grausen abwenden, sei mir eine Anmerkung erlaubt:

 

Engels stützt sich bei diesem Text auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit und versucht zusätz-lich, die spezifische Rolle der normalerweise unter Evolutionsaspekten wenig bis gar nicht beachteten Arbeit aufzuzeigen. Es geht um den Anteil der Arbeit an der Menschwerdung - ob nun von Affen1 oder von Hominini.

 

OK - über beide Vorstellungen kann, wer davon ausgeht, dass wir einst Bewusstsein waren und uns dann - vor langer Zeit - in diese Welt hineingeträumt haben oder dass die ersten Menschen entstanden, indem Lichtwesen ihren Lichtkörper auf die Ebene der organischen Materie hinunterverdichteten, nur lächeln. Dennoch - möglicherweise ist ja das intellektuelle Interesse groß genug, um mit der Lektüre fortzufahren.

 

Eine Voraussetzung hierfür bestand darin, dass den Händen „inzwischen mehr und anderweitige Tätigkeiten zufielen“. Die wichtige Folge: „Die Hand war frei geworden und konnte sich nun immer neue Geschicklichkeiten erwerben, und die damit erworbene größere Biegsamkeit vererbte und vermehrte sich von Geschlecht zu Geschlecht.“

 

So ist die Hand nicht nur das Organ der Arbeit, sie ist auch ihr Produkt.“

 

Durch immer vielfältigere, zunehmend präzisere und filigranere Arbeiten „hat die Menschenhand jenen hohen Grad von Vollkommenheit erhalten, auf dem sie Raffaelsche Gemälde, Thorvaldsensche Statuen, Paganinische Musik hervorzaubern konnte.“

 

Die Ausbildung der Hand wirkte sich auch auf den übrigen Organismus aus, und die mit dieser Entwicklung und der damit verbundenen Arbeit beginnende „Herrschaft über die Natur“ führte beständig zu neuen Erkenntnissen. Zugleich förderte die Arbeit Formen der Kooperation - die Menschen merkten, „daß sie einander etwas zu sagen hatten.

 

Das Bedürfnis schuf sich sein Organ: Der unentwickelte Kehlkopf des Affen bildete sich langsam aber sicher um, durch Modulation für stets gesteigerte Modulation, und die Organe des Mundes lernten allmählich einen artikulierten Buchstaben nach dem andern aussprechen.

 

Mit Arbeit und Sprache waren zwei wichtige Voraussetzungen geschaffen für den allmählichen Übergang des Affenhirns in das „bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommnere eines Menschen“. „Mit der Fortbildung des Gehirns aber ging Hand in Hand die Fortbildung seiner nächsten Werkzeuge, der Sinnesorgane.“ Die Sprache förderte die Verfeinerung des Gehörs, die Ausbildung des Gehirns die Verbesserung aller Sinne: „Der Adler sieht viel weiter als der Mensch, aber des Menschen Auge sieht viel mehr an den Dingen als das des Adlers. (...) Und der Tastsinn, der beim Affen kaum in seinen rohsten Anfingen [sic] existiert, ist erst mit der Menschenhand selbst, durch die Arbeit, herausgebildet worden.“

 

Gehirn und Sinne förderten die Entwicklung des Bewusstseins, des Abstraktions- und Schlussvermögens - Qualitäten, die ihrerseits auf Arbeit und Sprache zurückwirkten und bei beiden „immer neuen Anstoß zur Weiterbildung“ gaben - einer Weiterbildung, die im Laufe der Zeit durch ein neues Element zusätzlich befördert wurde: die menschliche Gesellschaft.

 

Hunderttausende von Jahren (...) sind sicher vergangen, ehe aus dem Rudel baumkletternder Affen eine Gesellschaft von Menschen hervorgegangen war. Aber schließlich war sie da. Und was finden wir wieder als den bezeichnenden Unterschied zwischen Affenrudel und Menschengesell-schaft? Die Arbeit.

 

Die Arbeit fängt an mit der Verfertigung von Werkzeugen.

 

Hier lohnt es sich meines Erachtens, erneut einzuhaken. Bezüglich der Rolle des Werkzeugs gibt es ohne Frage einiges zu diskutieren ... und auch noch zu forschen. So ist der Gebrauch von Werkzeugen in der Tierwelt nicht unbekannt - dort allerdings eher als Randerscheinung. Beim Menschen hingegen sind Her-stellung und Gebrauch von Werkzeugen integraler Bestandteil seiner Lebensweise. Und zur Arbeit gehören zudem Planung, Organisation, Zusammenarbeit einer Gruppe bei Fertigung und Einsatz der Arbeitsgeräte, ...

 

Gibt es einen bestimmten Punkt, ab dem man im Hinblick auf die Werkzeugherstellung und -nutzung vom Menschen sprechen kann? Klarheit und Einigkeit scheint in dieser Frage noch keineswegs zu herrschen. Kriterien wie die Verwendung von „Geräten zur Herstellung von Geräten2 oder die Zweck-Mittel-Umkehrung3 reizen dazu, tiefer in die Materie einzusteigen - was wir uns hier allerdings verkneifen wollen.

 

Man mag zudem darüber streiten, ob die ersten Werkzeuge tatsächlich der Jagd oder nicht vielmehr der Bearbeitung von Überresten toter Tiere dienten. Die Relevanz der Werkzeugproduktion für die Mensch-werdung würde auch im letzteren Fall allerdings kaum gemindert.

 

A propos:

 

Welche Bedeutung hatte das Herstellen von Steinwerkzeugen für die Gehirn- und Sprachentwicklung des Menschen?“ fragt der Anthropologe Dietrich Stout. „Seit Jahrzehnten probieren Archäologen, handwerkliche Fertigkeiten prähistorischer Menschen nachzuahmen. (...) Der Ansatz hat die einst populäre, später von anderen Erklärungen verdrängte Vorstellung wiederbelebt, nach der die Werkzeugherstellung eine wichtige Triebfeder der menschlichen Evolution war, insbesondere auch der Hirnentwicklung.“4

 

»Eine frühere Studie der Forscher zeigte, dass das Erlernen der Herstellung von Steinwerkzeugen struk-turelle Veränderungen in den Faserbahnen des Gehirns erzeugt, die den Parietal- und Frontallappen ver-binden, und dass diese Veränderungen des Gehirns mit Leistungssteigerungen korrelierten. "Es geschieht etwas, um diese Verbindung zu verstärken", sagt Stout. "Dies ist ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung dieser Gehirnsysteme für die Herstellung von Steinwerkzeugen und zeigt auch, wie die Werkzeugherstellung das Gehirn evolutionär geformt haben könnte."

(...)

Stout hat kürzlich ein großes dreijähriges archäologisches Experiment gestartet, das auf diesen und anderen Studien aufbauen wird. Bekannt als "Sprache der Technologie"-Projekt, bezieht das Experiment 20 Test-personen ein, von denen jede 100 Stunden dem Erlernen der Kunst der steinzeitlichen Faustkeilherstellung widmen und sich zusätzlich einer Reihe von MRT-Aufnahmen unterziehen wird.«5

[Eigene Übersetzung, Klaus ]

 

Stout selbst hat übrigens 300 Stunden in den Lernprozess investiert.6

 

Demnach scheint es sich um alles andere als eine triviale Angelegenheit zu handeln. Und wenn der Stein-zeitmeister dem Steinzeitlehrling seine Tricke zeigen und erklären wollte, dann erwies sich die Sprache in diesem Prozess ganz sicher als sehr hilfreiches „Werkzeug“.

 

Zurück zu Engels:

 

Die Fleischkost, deren Verwertung durch Garen wesentlich effizienter wurde und in deren Folge sich das Gehirn schneller und vollkommener ausbilden konnte, wie auch die damit zusammen-hängende „Dienstbarmachung des Feuers“ und die Zähmung von Tieren waren erneute Meilensteine in der menschlichen Entwicklung.

 

Die Fleischkost - mittlerweile ein mehr als damals umstrittenes Thema. Wobei es auch zu Engels Zeiten Vegetarier gab, an die er sich mit den folgenden Worten wendet:

 

Mit Verlaub der Herren Vegetarianer, der Mensch ist nicht ohne Fleischnahrung zustande gekommen ...

 

Die von mir genutzten Quellen waren übereinstimmend der Auffassung, dass der Konsum von Fleisch sich positiv auf das Gehirnwachstum ausgewirkt hat. Im Wesentlichen scheint der von Engels konstatierte wechselseitige Zusammenhang von Arbeit, Fleischverzehr und Gehirnentwicklung bei der Evolution des Menschen bestätigt worden zu sein.7 Ob man daraus auch heute noch die Notwendigkeit fleischlicher Kost ableiten kann, steht mittlerweile aus ethischen, gesundheitlichen und Umweltgründen zunehmend in Frage.

 

Weiter mit Engels:

 

Wie der Mensch alles Eßbare essen lernte, so lernte er auch in jedem Klima leben. Er verbreitete sich über die ganze bewohnbare Erde ...“ Und die Migration in kältere Klimazonen mit wechseln-den Jahreszeiten „schuf neue Bedürfnisse“ und damit neue Arbeitsgebiete, „neue Betätigungen, die den Menschen immer weiter vom Tier entfernten.

 

Kurz, das Tier benutzt die äußere Natur bloß (...) der Mensch (...) beherrscht sie. Und das ist der letzte, wesentliche Unterschied des Menschen von den übrigen Tieren, und es ist wieder die Arbeit, die diesen Unterschied bewirkt.

 

Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur.

Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns.(Fett von mir, Klaus)

 

Engels setzt sich im Folgenden noch kurz mit den natürlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen unserer Art zu arbeiten auseinander. Meine Arbeit allerdings ist hiermit getan.

 

_____

0 Alle Zitate ohne weitere Kennzeichnung aus:

   Engels, Friedrich: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen (1876, unvollendet), in: Dialektik der Natur

   http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_444.htm

 

1 "Die Entdeckung eines bemerkenswert gut erhaltenen fossilen Affenschädels in Kenia zeigt, wie der gemeinsame Vorfahr aller heute

   lebenden Menschenaffen und Menschen ausgesehen haben könnte. Der Fund gehört zu einem Affen-Kleinkind, das vor etwa 13

   Millionen Jahren lebte." (fett von mir, Klaus) Max-Planck-Gesellschaft, 9.8.17

   https://www.mpg.de/11422564/nyanzapithecus-alesi

 

2 So der Göttinger Paläoanthropologe Gerhard Heberer lt. Brehmer, Christian: Vom Urknall zur Erleuchtung, 1. Auflage 2008,

   Verlag Via Nova, Petersberg, S. 105 (http://www.bewusstseins-evolution.de/html/DasBuch.html)

 

3 "Trotz der möglichen Funktion innerhalb einer kollektiven Aktivitätssequenz, handelt es sich dennoch nur um individuelle und nicht um

   soziale Mittel. Die Bedeutung der Mittel ist noch nicht dauerhaft, allgemein und für andere verfügbar, sondern ›verschwindet‹ nach

   Zweckerreichung wieder im ›Hintergrund‹ der Umwelt: Die Orientierungsbedeutung des Mittels wird deaktualisiert.

        Mit der Zweck-Mittel-Umkehrung ändert sich dies qualitativ. Das Mittel wird nun nicht erst im aktuellen Bedarfsfall, dass es in einer

   (individuellen oder kollektiven) Aktivitätssequenz gebraucht wird, geschaffen, sondern wird unabhängig für den Fall hergerichtet, dass

   es einmal gebraucht werden könnte. (...)

   Das Mittel ist nun gleichsam vor dem Zweck da und besitzt eine dauerhafte und verallgemeinerte soziale Bedeutung (...)“

   Stefan Meretz: Die »Grundlegung der Psychologie« lesen - Einführung in das Standardwerk von Klaus Holzkamp, S. 39 f. [PDF]

   http://scholar.google.de/scholar_url?url=https://grundlegung.de/data/stefan-meretz-die-grundlegung-lesen.pdf&hl=de&sa=X&ei=typ_X4W0M4efmAGhpZvYCw&scisig=AAGBfm0mCSbEPE_44Mxy4IPvaPcib5PBXw&nossl=1&oi=scholarr

 

4 https://www.spektrum.de/magazin/wie-macht-man-einen-faustkeil-hirnentwicklung-in-der-steinzeit-durch-steinhandwerk/1417451


A previous study by the researchers showed that learning to make stone tools creates structural changes in fiber tracts of the

   brain connecting the parietal and frontal lobes, and that these brain changes correlated with increases in performance.

   “Something is happening to strengthen this connection,” Stout says. “This adds to evidence of the importance of these brain

   systems for stone tool making, and also shows how tool making may have shaped the brain evolutionarily.”

   (...)

   Stout recently launched a major, three-year archeology experiment that will build on these studies and others. Known as the

   Language of Technology project, the experiment involves 20 subjects who will each devote 100 hours to learning the art of making a

   Stone Age hand axe, and also undergo a series of MRI scans."

   http://esciencecommons.blogspot.com/2015/04/complex-cognition-shaped-stone-age-hand.html

 

   Eine weitere Studie von Forschern um Shelby Putt vom Stone Age Institute in Bloomington, Indiana, ergab:

 

   "Bei der Herstellung der Oldowan-Werkzeuge waren die Hirnregionen für visuelle Aufmerksamkeit und Bewegungskontrolle aktiv. Bei den

   komplizierter herzustellenden Faustkeilen waren viel mehr Areale gefordert, Arbeitsgedächtnis, Hör- und Tastsinn [s.o.: Engels] und

   nicht zuletzt auch das Zentrum für Handlungsplanung.

        Diese Kombination von Nervenerregungen kennen die Forscher aus einem ganz anderen Zusammenhang: „Es ist faszinierend, dass

   die gleichen Netzwerke beim modernen Menschen für das Spielen von Musikinstrumenten benötigt werden“, sagt John Spencer, ein

   Co-Autor der Studie." https://science.orf.at/v2/stories/2842000/

 

6 „Dietrich Stout, an experimental anthropologist at Emory University in Atlanta, spent 300 hours learning to make a stone hand axe.

   Now he's having his students ...“ www.mydigitalpublication.com › p...

   Der Text stammt von der Google-Übersichtsseite (Suchbegriff: dietrich stout hand axe 300 hours).

   Die Website selbst war nicht zugänglich.


7
- https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/rindfleisch-102.html

   - https://www.geo.de/magazine/geo-wissen-ernaehrung/19575-rtkl-evolution-menschen-sind-von-natur-aus-fleischesser-stimmt

   - https://www.hs-bremen.de/internet/de/studium/stg/istab/lehrende/hbrunken/angewandte_zoologie/uebungen/tiere_essen/fleischessen/

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Christian (Donnerstag, 22 Oktober 2020 10:16)

    Engels Ansicht von den evolutionären Folgen der Freistellung und Entwicklung der Hände, kann ich bedingt folgen. Er thematisiert allerdings nicht - wie alle materialistischen Evolutionsbiologen - die intelligente Antriebsdynamik hinter allem, ohne die nichts läuft.