Der freie Wille
Nun hab ich endlich Feierabend
Da könnt ich mal ins Kino gehn
Das ist erquickend und erlabend
Hab lang' kein' guten Film gesehn
Ich kann auch auf den Michel1 steigen
Und mir die Welt von dort beschauen
Die Neustadt liegt in tiefem Schweigen
Ich bleibe bis zum Morgengrauen ...
Ich könnte auch das Weite suchen
(So mancher ist schon fortgegangen)
Mir irgendeine Reise buchen
Um anderswo neu anzufangen
(...)
Ich tue nichts von alledem
Geh lieber heim zu meiner Frau
Sieht aus, als sei ich zu bequem -
Und dass ich mich nicht richtig trau
Hier bin ich wohl dem Wasser gleich:
Kann strömen, schäumen, tosen, wallen
Doch ruht es still in seinem Teich
Und scheint sich darin zu gefallen
***
Ich muss mich an die Regeln halten
(Wohl letztlich die Naturgesetze2?! )
Drum kann ich mich nicht frei entfalten
So sehr ich meine "Freiheit" schätze3
_________________
1 Der Hamburger Michel: „Das Wahrzeichen der Hansestadt ist die Hauptkirche St. Michaelis.
Besonders beeindruckend ist das Kirchenschiff samt der fünf Orgeln, der Gewölbekeller und
die fabelhafte Aussicht vom Kirchturm.“ (http://www.hamburg.de/michel/)
2 Ist vielleicht ja wohl doch alles determiniert?
Hat der Urknall schon damals das Drehbuch geschrieben?
Wenn die Kausalität unser Leben regiert
Ist uns wahrlich nur wenig an Freiheit geblieben
3 S.u. 1. Kommentar
06/17
Bitte kommentieren Sie jetzt:
Kommentar schreiben
Tünn (Donnerstag, 22 Juni 2017 10:16)
Neulich stieß ich auf einen Text von Schopenhauer und habe mal versucht, seinen interessanten Gedankengang mit eigenen Worten (wie ich ihn verstanden habe) wiederzugeben. So entstanden die o.a. Zeilen. Schopenhauer:
„Es ist sechs Uhr abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spaziergang machen, oder ich kann in den Klub gehen; oder ich kann auch auf den Turm steigen, die Sonne untergehen zu sehen; ich kann auch ins Theater gehen; ich kann auch diesen oder jenen Freund besuchen; ja ich kann auch zum Tore hinauslaufen, in die weite Welt, und nie wiederkommen. Das alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; tue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach Hause, zu meiner Frau.“ Das ist, meint nun Schopenhauer, gerade so, als ob das Wasser spräche: „Ich kann hohe Wellen schlagen (ja! nämlich im Meere und Sturm), ich kann reißend hinabeilen (ja! nämlich im Bette des Stromes), ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen (ja! nämlich im Wasserfall), ich kann frei als Strahl in die Luft steigen (ja! nämlich im Springbrunnen), ich kann endlich gar verkochen und verschwinden (ja! bei achtzig Grad Wärme); tue jedoch von dem allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche.“
Und nun:
„Wie das Wasser jenes alles nur dann kann, wenn die bestimmenden Ursachen zum einen oder anderen eintreten, ebenso kann jener Mensch, was er zu können wähnt, nicht anders als unter derselben Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich; dann aber muß er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist...“
Franz Mehring, Aufsätze zur Geschichte der Philosophie, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1975, S. 183 f.
https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=5&ved=0ahUKEwiQqqG51cnUAhXHthQKHX9oDKsQFgg-MAQ&url=http%3A%2F%2Fwww.max-stirner-archiv-leipzig.de%2Fdokumente%2FMehring_Franz-Aufsaetze_zur_Geschichte_der_Philosophie.pdf&usg=AFQjCNHLCW5ZTCimhmuraMo9tl-WiV6wTQ&cad=rja