Die goldene und andre Regeln
Was du nicht willst, was man dir tu
Das füg auch keinem andern zu
Das heißt ja, dass der reiche Mann
Den armen ignorieren kann!
Wer selber niemals betteln muss
Kommt logisch richtig zu dem Schluss:
Er muss in seinem ganzen Leben
Dem Bettler niemals etwas geben
Am Schutz des Eigentums hingegen
Ist all den Armen kaum gelegen
Wobei grad dieser, wie ihr wisst
Dem Reichen lieb und teuer ist
***
Hier lässt sich letztlich die Moral
(Mir gibt das, glaub ich, schon zu denken
Obwohl - das ist ja ganz normal)
Zu sehr vom Egoismus lenken
Wie könnte man das anders lösen?
Wir woll'n ja sauber unterscheiden:
Was ist das Gute, was das Böse?
Um dann das Böse zu vermeiden
Der Eine will den Nutzen mehren
Nur darf man dabei nicht vergessen
Er sollte uns genau erklären
Wie lässt sich dieser Nutzen messen?
Der Zweite geht's pragmatisch an
Er will das Gute praktizieren
Und wird, soweit er eben kann
Ein tugendhaftes Leben führen
Der Nächste, der ist wirklich streng
Und fordert Eigennutzverzicht
Er sieht das alles ziemlich eng
Und redet dauernd von der Pflicht
Er meint die Pflicht vor dem Gesetz
Das sich ein jeder selber gibt
Da zählt dann nicht, was jemand schätzt
Bevorzugt, fürchtet oder liebt
Da zählt die Rationalität!
Was einer will, ist einerlei
Es zählt, was der Verstand uns rät
Was für das Ganze richtig sei
War da nicht was mit der Maxime?
Ich glaub, die soll den Willen leiten
Weil Interessen und auch Triebe
Beständig mit dem Willen streiten
Im Grunde geht es um die Frage
Was wäre, wenn das alle machten?
Als Menschen sind wir in der Lage
Auf Folgen unsres Tuns zu achten
Ihr wollt ein Beispiel? Meinetwegen
Lasst mich mal eben überlegen ...
***
Du hast was Schlimmes ausgefressen
Das wird dir sicher peinlich sein
Dein Partner soll davon nichts wissen -
Da fällt dir eine Lüge ein
Wenn itzo ein Gesetz geböte:
Ein jeder soll beständig lügen!
...?!
Selbst Lügner kämen da in Nöte
Das wär für alle kein Vergnügen
Was dies für die Gesellschaft heißt
Das muss ich wohl nicht groß beschreiben
Wenn jeder lügt, betrügt, besch-ummelt ...
Drum lasst uns bei der Wahrheit bleiben!!!
Das gilt dann aber auch für dich!
Laut Regel lügt man wirklich nie
Man lügt auch nicht gelegentlich
Welch schmerzlich schöne Utopie ...
***
Schau, diese pfiffige Methode
Die könnte dir als Kompass dienen
Bloß war sie nie so groß in Mode
War vielen als zu streng erschienen
***
Kann die Maxime deines Willens
Die Basis für Gesetze sein?
Lass einzig die Vernunft bestimmen
Nur die Vernunft, ja, sie allein
Dann bin ich ziemlich guter Dinge
- Die Aussicht, hoff ich, macht dir Mut -
Dass dies dir irgendwann gelinge:
Dein Handeln wird moralisch gut
***
Puuh! Sorry, wenn ich leise stöhne
Ich find das alles nicht trivial
Ob ich mich da noch dran gewöhne?
Wie schön war's anno dazumal!
Man gab uns Kindern diesen Rat:
Tu täglich eine gute Tat
Die gute Tat, die ich heut tu:
Ich lass euch ab sofort in Ruh
11/2019
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Christian (Sonntag, 24 November 2019 12:59)
Hallo Tünn,
Deine poetischen Reflexionen über die goldene Regel
sind kurzweilig und regen zum Nachden an. Die
Anwendung auf Arm und Reich ist wohl eher
rhetorisch gemeint. Und der Venunft als Maxime
stimme ich grundsätzlich zu. Wird sie allerdings
zweckrational eingesetzt, taugt sie nicht als
allgemeine Maxime. Wird sie geläutert durch
Reflexion / Meditation zu einer vernehmenden
Vernunft nähert sie sich einer gültigen Orientierung.
Soweit mein Kommentar.
Tünn (Sonntag, 24 November 2019 16:16)
Hallo Christian,
danke für deine Rückmeldung. Im Grunde versuche ich in den ersten Strophen, zwei konkrete Beispiele für Kants Kritikpunkte an der Goldenen Regel in Reime zu fassen.
Kant:
„Man denke ja nicht, daß hier das triviale: quod tibi non vis fieri* etc. zur Richtschnur oder Prinzip dienen könne. Denn es ist, obzwar mit verschiedenen Einschränkungen, nur aus jenem abgeleitet; es kann kein allgemeines Gesetz sein, denn es enthält nicht den Grund der Pflichten gegen sich selbst, nicht der Liebespflichten gegen andere (denn mancher würde es gerne eingehen, daß andere ihm nicht wohltun sollen, wenn er es nur überhoben sein dürfte, ihnen Wohltat zu erzeigen), endlich nicht der schuldigen Pflichten gegen einander; denn der Verbrecher würde aus diesem Grunde gegen seine strafenden Richter argumentieren, u.s.w." [Karl-Maria Guth (Hrsg.), Berlin 2016, Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2. Abschn., Fußnote 13, S. 51]
Was du zum zweckrationalen Einsatz der Vernunft schreibst, scheint sich mit Kants Intentionen zu decken, soweit ich diese überhaupt verstanden habe.
„Es zählt, was der Verstand uns rät
Was für das Ganze richtig sei“
heißt es oben. „Das Ganze“, wir alle, die Gesellschaft, ... also nicht das, was ein Einzelner schätzt, ist wichtig.
Reflexion scheint unerlässlich, Meditation mag hilfreich sein. Du hast da möglicherweise deine eigenen Erfahrungen.
_____
* "Quod tibi non vis fieri, alteri noli facere - Was du nicht willst das es dir geschehe, das sollst du keinem anderen antun" (http://www.abiteam2001.de/bericht/latein)
Christian (Dienstag, 26 November 2019 14:47)
Ad kathegorischen Imperativ:
„Es zählt, was der Verstand uns rät
Was für das Ganze richtig sei.“
Um dem zu folgen, bedarf es m.E. einer gewissen Reife.
Denn meistens ist das persönliche Vorteilsdenken stärker
als das Gemeinwohldenken.
Über den Unterschied zwischen Verstand und Vernunft
lohnt es sich auch mal genauer nachzudenken.
Tünn (Dienstag, 26 November 2019 18:13)
Moin Christian,
ja, meistens ist das persönliche Vorteilsdenken stärker ...
Und was Kant sich ausgedacht hat, finde ich schon genial, aber eben auch schwer zu praktizieren. Deshalb heißt es oben:
"Bloß war sie nie so groß in Mode
War vielen als z u streng erschienen"
Um den Unterschied zwischen Verstand und Vernunft geht es teilweise in
https://www.diverseverse.de/philosophisches/verstand-raketen-vs-vernunft/
Danke für deine Beiträge!