Vom Allesfresser zum Veganer?

 

Keine andere Entscheidung des normalen Durchschnittsmenschen beeinflusst so viele Bereiche seiner (und unser aller) Lebensbedingungen wie die für eine bestimmte Ernährungsweise.

 

Diese gewagte? These möchte ich hier zur Diskussion stellen.

 

Es geht mir dabei nicht um eine systematische Darstellung, dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Ich möchte vielmehr anhand meiner persönlichen Erfahrungen einige ernährungsbezogene Fragen aufwerfen und zum Ende hin ein, zwei meereskundliche Erkenntnisse anführen.

 

Der Titel dieses Aufsatzes fasst einen wesentlichen Teil meiner persönlichen Entwicklung in vier Worten zusammen - wobei das Fragezeichen darauf hinweist, dass ich den letzten Schritt meines Weges noch nicht getan habe.

 

Schweinefleisch zum Frühstück ...

 

Wie speiste ich früher? Zwei Koteletts am Tag waren keine Seltenheit. Zum Frühstück eine Gemüsesuppe mit Schweinebacke. Beim Paulaner an der Schlachte lecker Hackbraten mit Schwarzbiersoße, bei Costa gegrillte Lammfilets …

 

In den Achtzigern las ich einen Artikel „Krebs und Ernährung“ – mein erstes mehr oder weniger bewusstes Wahrnehmen eines möglichen Zusammenhangs von Ernährung und Gesundheit. (Mittlerweile ergibt eine Internetsuche Hinweise auf etliche Studien, die einen eindeutigen Zusammenhang von Fleischkonsum und Krebsrisiko konstatieren.) In den Neunzigern schafften wir uns unseren ersten Hund an, was mein Verhältnis zu Tieren sehr stark, meinen Fleischkonsum aber in keiner Weise beeinflusste.

 

Kognitive Dissonanz?

 

In dieser Zeit hatte ich ein Problem, dessen ich mir unterschwellig bewusst war: Meine Bewertungen und mein Verhalten waren in sich nicht schlüssig. Es erzürnte mich, dass in anderen Teilen der Welt Hunde geschlachtet und verzehrt wurden [wobei ich nicht ahnte, dass dies, während ich mich darüber ärgerte, (bis 1986!) auch in Deutschland erlaubt war.] und sprach mich vehement gegen den Walfang aus – wohl wissend, dass die Lebens- und Tötungsbedingungen für unsere Nutztiere schrecklich sind und ich durch meinen Verzehr derselben diese Bedingungen akzeptierte, legitimierte und zementierte. Es hat lange gedauert, bis ich mir selbst verbot, zumindest keine winzigen Tiere wie Muscheln oder Sardinen mehr zu essen, die mir leider ausgezeichnet mundeten, von denen ich aber eine große Menge verzehren musste, um meinen Appetit zu stillen. Für meinen Genuss (um nichts Wichtigeres ging es) wurden 10, 15, 20 Tiere gequält: Lebend in kochendes Wasser geworfen oder gar mehrere Minuten langsam geköchelt, bis in ihrer Todesqual die Kräfte nachließen und sie ihre Schale nicht mehr gegen die Hitze geschlossen halten konnten. Dabei hat für mich die Ausrede, diese Tiere hätten kein Schmerzempfinden, nie eine Rolle gespielt. Ich habe ihre Schmerzen genauso verdrängt, wie ich das mit der Tortur im Schlachthof tat. Und mich gleichzeitig für einen Tierfreund gehalten. Irgendetwas stimmte da nicht ...

 

Bio

 

Vor einigen Jahren stieg ich bei Fleisch und Fisch auf Bio um, wo immer dies möglich war. Beim Wocheneinkauf etwa. In Restaurants gab es meist kein Biofleisch, da musste dann das normale herhalten. Ich habe diese Phase in einem kleinen Gedicht1 behandelt. Anlass dafür war ein privates Gespräch am Rande unserer Hobby-Philosophenrunde: Chris und Christine hatten unabhängig voneinander erlebt, wie ein Kalb von seiner Mutter getrennt wurde und wie furchtbar beide Tiere darunter litten. Dieses Problem scheint es bis auf seltene Ausnahmen auch in der Bio-Tierhaltung noch zu geben.

 

Im Zusammenhang mit meinem Gedicht habe ich mir auch Videos aus Schlachthöfen angesehen … und trotzdem weiter, wenn auch in geringerem Umfang, Fleisch gegessen. Mir geht damit jegliches Recht ab, wem auch immer wegen seiner Ernährungsgewohnheiten moralische Vorwürfe machen zu wollen. Dies ist demnach in keiner Weise die Intention meines Textes.

 

Corona – ein Einschnitt

 

Mit Beginn der Coronapandemie stellten wir unsere Restaurantbesuche ein. Der damit einhergehende Verzicht auf konventionell erzeugtes Fleisch zog die Überlegung nach sich: Warum nicht auch auf Biofleisch verzichten? Und auf Wurst? Und auf Fisch? Irgendwie waren wir zu Vegetariern geworden. Gesundheitliche Probleme waren nach den uns vorliegenden Informationen – eine ausreichende Nährstoffversorgung, auf die auch Fleischesser achten müssen, vorausgesetzt - nicht zu erwarten, möglicherweise war eher das Gegenteil der Fall2. Als Quasiveganer nehmen wir nun, um einen Vitamin-B12-Mangel zu vermeiden, zweimal wöchentlich eine B12-Tablette ein. (Es gibt übrigens auch Kapseln und Tropfen.)

 

Hauptantrieb für diese Umstellung war das Leid, das Tieren angetan wird – auch (immerhin in geringerem Maße!) in Biobetrieben. (Für eine Definition des Begriffs Leid, für eine Diskussion der Ergebnisse der Schmerzforschung bei Tieren und weitere mit möglichem Leiden3 zusammenhängende Fragen ist hier leider kein Raum.) Als ich es mir nicht mehr gestattete, die Angst, das Blut und den Schmerz der zum Schlachthof verbrachten, dort oftmals nicht einmal vollständig betäubten Lebewesen namens Vieh zu verdrängen, da lachte mich die Salami im Wurstregal des Supermarkts immer noch an und rief: „Nimm mich!“ … Ich aber widerstand ihr fortan (zugegeben: nicht immer leichten Herzens) und schritt weiter zum Gemüseregal, wo ich lecker Paprika und Blumenkohl in den Einkaufswagen lud4.

 

Der Anstoß zur veganen Ernährung kam von meiner Frau. Wir taten auch hier nicht einen großen Schritt, sondern tasten uns an den Veganismus heran: Der tägliche (selbst mit Hilfe einer „Joghurette“ hergestellte) Kuhmilchjoghurt wird demnächst durch eine vegane Alternative ersetzt. Noch gönnen wir uns zwei vegetarische Tage im Monat. Da gibt es lecker Pizza und / oder (Bio-)Käse und / oder (Bio-)Eier. Etwas ganz Besonderes also. Bei Kleidung versuchen wir, konsequent zu sein, das ist noch nicht ganz einfach. Aber wir sind auf dem Weg ...

 

Essen und Ethik

 

Ich weiß genau, was der geneigte Leser (jeglichen Geschlechts) sich mittlerweile zu fragen beginnt: Was in aller Welt haben die Essgewohnheiten eines beliebigen Tünnes, und handle es sich dabei auch um unseren werten Klaus, auf unserer philosophisch orientierten Website zu suchen?

 

Nun, nehmen wir an, meine o.a. Prämisse, das Töten von Tieren bereite diesen Leid, treffe zu, und eine wichtige Aufgabe der philosophischen Disziplin Ethik sei es, (grob gesagt) zur Minderung von Leid in der Welt beizutragen. Dann kann man ein Tierleid reduzierendes Handeln m.E. durchaus als ethisch (und damit philosophisch) relevant einstufen.

 

OK, mag besagter Leser einwenden, Ethik ist allerdings von Menschen für Menschen erdacht worden, nicht für Tiere. Damit ignoriert er zum einen die Existenz der Tierethik5 als mittlerweile etablierten Teilbereich der Philosophie. Und er übersieht, dass die vegane Ernährung, mehr noch der Veganismus als Lebensweise, durchaus dazu angetan ist, neben tierischem auch menschliches Leid zu verringern.

 

Zur Verdeutlichung dieses Gedankens nur ein Beispiel:

 

Um 17 Zentimeter ist der globale Meerespiegel im 20. Jahrhundert gestiegen und er steigt weiter – um bis zu einem Meter bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. So lautet die Prognose des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC). Davon gehen allein 20 Prozent auf das Konto der Gletscherschmelze. (…) Mit den Gletschern schmelzen auch die weltweiten Trinkwasserreservoire, denn Gletscher sind wichtige Wasserspeicher: (…)“

https://www.greenpeace.de/klimaschutz/klimakrise/folgen-klimawandels

 

Die dramatische Entwicklung des Klimawandels und die damit einhergehenden Folgen für die belebte Natur brauche ich in diesem Blog vermutlich nicht zu schildern. Die Tierindustrie hat hieran einen enormen Anteil. Das Abholzen von Wäldern (Amazonas!) zum Zweck der Fleischproduktion gehört dazu. Ein steigender Meeresspiegel schränkt die Lebensräume von Menschen ein, führt zu Konflikten, Kriegen, Flucht und Vertreibung. Der Verzicht auf tierische Produkte kann ein wichtiger Beitrag dazu sein, eine solche Entwicklung zu verhindern oder abzuschwächen und damit – wie oben angesprochen - menschliches Leid zu verringern.

 

Weitere Beispiele erspare ich mir. Greenpeace, Peta und andere Quellen belegen (für meinen Geschmack überzeugend) den Zusammenhang von Tierproduktion, Klimawandel, Umweltschäden, Welthunger, … Am 11.3.22 fanden sich in der Onlineausgabe der Tageszeitung Neue Westfälische diese vier Schlagzeilen:

 

Amazonas-Regenwald verliert an Fähigkeit, sich zu erholen
Antarktisches Meereis dehnt sich immer weniger aus
Historische Überschwemmungen in Australien
Klimarat: Milliarden Menschen gefährdet

 

Sollte der von mir vorab konstatierte Zusammenhang bestehen, würde sich ein veganer Lebensstil oder auch nur die vegane Ernährung tatsächlich als ein möglicher Beitrag zur Minderung nicht nur von tierischem, sondern auch von menschlichem Leid erweisen.

 

Nun ist es wohl an der Zeit, dass ich noch einmal meine Eingangsthese aufgreife:

 

Keine andere Entscheidung des normalen Durchschnittsmenschen beeinflusst so viele Bereiche seiner (und unser aller) Lebensbedingungen wie die für eine bestimmte Ernährungsweise.

 

Über die Thesenform werde ich auch beim Versuch ihrer Begründung nicht hinauskommen – womit sich reichlich Anlass für kritische Kommentare bietet!

 

Ich versuchs mal. Die Entscheidung für oder gegen vegane Ernährung hat (mehr oder weniger direkte) Auswirkungen auf

  • die eigene Gesundheit

  • die Art des Lebens und Sterbens der von Zucht und Schlachtung betroffenen Tiere

  • Leben oder Tod von Tieren, die zwar nicht geschlachtet werden, aber in Folge von Abholzung und Brandrodung umkommen – seien dies nun kleinste Insekten oder große Säugetiere einschließlich Primaten

  • Leben oder Tod von Tieren, denen durch die Klimaerwärmung der Lebensraum genommen wird – z.B. Bruno, der Eisbär6

  • Leben oder Tod von Menschen, deren Lebensräume zerstört werden und denen Nahrungsmittel fehlen, weil man die entsprechenden Ressourcen für die Ernährung von Schlachttieren nutzt

  • (...)

 

Das Programm

 

Eine vegane, umweltschonende und ressourcensparende Lebensweise, vielleicht gar kombiniert mit einer Entscheidung für (möglichst regionale) Bioprodukte7 und fairen Handel, Eintreten für einen höheren Mindestlohn, damit diese eventuell teureren Erzeugnisse für möglichst viele Menschen erschwinglich sind, … Diesem Maximalprogramm wird sich nicht jeder verschreiben wollen. Aber auch kleine Schritte zählen. Ich bin gerade dabei, einen solchen zu tun. Geht jemand mit?

 

 

_____

 

1 http://philosophenrunde-melle.blogspot.com/2021/04/

     Auf meiner Website https://www.diverseverse.de/alltag-co/der-omnivore/ finden sich unter dem Gedicht in 39

   Kommentaren etliche sehr interessante Gesichtspunkte zu dem Thema.

 

2 siehe hierzu: http://philosophenrunde-melle.blogspot.com/2021/04/
                                     Glücklich und gesund: Vegane Ernährung hat viele Vorteile!

                     (Auf der Seite ein wenig nach unten blättern!)

3 Schon immer dachte ich, wie furchtbar der Fische Erstickungstod sein muss, die dem Menschen ins Netz

   oder auch an die Angel gehen. Stellte mir umgekehrt vor, als Mensch vor der Zubereitung durch einen

   Kannibalen zunächst unter Wasser getaucht und ersäuft zu werden …

 

4 Die Frage, ob, auf welche Weise und in welchem Maße auch Pflanzen leiden und ob dies mit tierlichem

   Leid gleichzusetzen wäre, kann ich mangels Wissen nicht behandeln. Sollte diese Vermutung zutreffen,

   würde eine vegane Ernährung dennoch zur Leidminderung beitragen, da die für die Fütterung der Nutztiere

   erforderliche Pflanzenmenge zumindest teilweise entfiele. Fleischkonsum führt zum Leiden von

   Pflanzen und Tieren, Veganismus „nur“ zum (nicht vermeidbaren) potenziellen Leiden von Pflanzen.

 

5 Z.B: http://philosophenrunde-melle.blogspot.com/2021/06/philrunde-2.html

   Tierethik - Einige Aspekte der Schopenhauerschen Mitleidsethik

 

6 https://www.diverseverse.de/alltag-co/klein-bruno-der-eisb%C3%A4r/

 

7 „Bioprodukte“ meint hier möglichst umweltverträgliche und tierfreundliche Herstellungsweisen. Eine

   Einschränkung der Massentierhaltung etwa nutzt den betroffenen Tieren, aber auch dem Menschen, weil

   z.B. die präventive Beigabe von Antibiotika (Resistenzen!) überflüssig und die Gefahr der Entstehung von

   Zoonosen reduziert würde. Mit jedem Menschen, der sich solche Waren finanziell leisten kann, erhöht sich

   das Potenzial zur Realisierung der in der Bioproduktion angelegten positiven Möglichkeiten.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Bernd (Mittwoch, 02 November 2022 20:31)

    "(...)
    Fleischproduktion schadet dem Klima. Zu diesem Schluss kommt eine jüngere Studie des WWF Dem zufolge entfällt rund ein Viertel des Klimafußabdrucks einer durchschnittlichen Person in Deutschland auf ihre Ernährung. Tierische Produkte – vor allem Fleisch – haben daran einen Anteil von fast 70 Prozent. Am klimaschädlichsten ist Rindfleisch, aber auch Milchprodukte schlagen stärker zu Buche als die meisten pflanzlichen Lebensmittel wie zum Beispiel Kartoffeln, Tofu, Gurken, Tomaten, Spinat, Karotten und Zwiebeln.

    Bei vegetarischer Ernährung würde sich unser Flächenbedarf um 46 Prozent reduzieren, bei veganer Ernährung sogar um die Hälfte, bei einer "flexitarischen" Ernährung immerhin um 18 Prozent. Analog dazu nähmen auch die ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen deutlich ab.

    Eine vegane Ernährung würde etwa um die Hälfte der CO2-Äquvalente gegenüber der normalen Ernährung einsparen. Dies hätte denselben Effekt, als würde man ein Auto ein halbes Jahr lang stehen lassen. Verfüttert man zehn Eimer voll Futter an Nutztiere, so erhält man dafür etwa neun Eimer voll mit Gülle, viel Körperwärme und Klimagase – und nur eine relativ kleine Menge des gewünschten Tierproduktes, rechnet das Vegane Portal Vegpool.de vor. Vegane Ernährung hingegen nutzt die Ressourcen direkt.
    (...)"
    https://www.heise.de/tp/features/Veggie-Streit-Kuhmilch-oder-Haferdrink-was-ist-besser-fuers-Klima-7326763.html