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Kommentare: 7
  • #1

    Tünn (Mittwoch, 08 Juni 2016 14:46)

    Anlaß und Grundlage für die obigen Verse:

    „Die Raumfahrt ist ein Triumph des Verstandes, aber ein Versagen der Vernunft.“ So lautete ein kritisches Fazit in den 60/70er Jahren, als Sputnik und Mondlandung die Menschheit bewegten. Das Beispiel macht den Unterschied zwischen Verstand und Vernunft sofort nachvollziehbar deutlich. Verstand (lat. Intellectus, von inter legere, zwischen-den Zeilen- lesen, begreifen.) Wir sprechen vom scharfen Verstand, der fähig ist, zu analysieren, kritisch zu hinterfragen. Deshalb ist der „Intellektuelle“ bei politischen und religiösen Autoritäten so unbeliebt. Er kann „zersetzend“ und destruktiv wirken. - Der Verstand erforscht aber auch die Naturgesetze, die dann Anwendung in der Technik finden, nicht immer zum Segen der Menschheit.– Die Vernunft dagegen (lat. ratio, frz. la raison, oder le bon sens, engl. reason oder common sense) bedenkt pragmatisch-ethisch Zweckmäßigkeit und Folgen, nimmt also eine moralische Wertung vor. Nach Descartes (Discours de la méthode) ist der gesunde Menschenverstand die am besten verteilte Sache der Welt! Unterschiede erklären sich daraus, dass die Menschen ihre Gedanken auf verschiedene(n) Wege(n) führen. Aus heutiger Sicht wohl eher eine naiv dualistische Sichtweise. – Und er Glaube? Er steht sicher der Vernunft näher als der Verstand. Das deutsche Wort „glauben“ ist doppeldeutig.Die Theologen unterscheiden die fides qua creditur von der fidesquaecreditur. Letztere bedeutet glauben im Sinne von für wahr halten, etwas glauben (engl. to believe). Ist die Jungfrauengeburt oder die Auferstehung historisch wahr? – Die fides qua creditur dagegen ist Glauben im Sinne von Vertrauen (engl. faith) oder Zuversicht, an etwas glauben, eine Haltung, kraft derer man vertraut, Gott oder einem anderen Menschen, einer Religion, einer Lehre, eine Kraft, die „Berge versetzen“ kann. Im AT ist Glaube der Bund, das Treueverhältnis des Volkes Israel zu seinem einen, eifersüchtigen Gott. (s. Jan Assmann, „Exodus“). – Glaube im NT ist das Vertrauen in einen gütigen Vatergott, wie er im Gleichnis vom verlorenen Sohn dargestellt wird. Oder Martin Luther zum Glauben: Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott. Der kritische, unterscheidende Verstand/Intellekt wird dabei die Wahrheitsfrage stellen, die Vernunft sich für die Folgen interessieren. Dazu ein Jesus zugeschriebenes Wort: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ http://philosophenrunde-melle.blogspot.de/

  • #2

    Luisa (Mittwoch, 08 Juni 2016 18:53)

    Hallo Herr Dichter,
    kennen Sie den Spruch:
    In der Kürze liegt die Würze.
    Ihre arme Ehefrau tut mir leid. Die texten Sie wahrscheinlich ständig voll. Die ist bestimmt froh, wenn Sie mal wegfahren.

  • #3

    Tünn (Montag, 13 Juni 2016 13:06)

    Liebe Luisa,

    vielen Dank für Deinen freundlichen Kommentar. Es ist fast schon unheimlich: Wenn ich Deine Zeilen lese, meine ich die liebliche Stimme meiner Frau zu vernehmen. Ihr beiden würdet Euch gut verstehen!

    Du hast eine meiner großen Schwächen aufgedeckt und mich zugleich motiviert, es einmal kürzer zu versuchen:

    Raumfahrt ist Fortschritt, und Fortschritt ist geil
    Eines wird allerdings gerne verschwiegen
    Wie man dennoch längst weiß
    Zahlt der Ärmste den Preis
    Dort in Afrika sterben die Kinder wie Fliegen

    Mit der langen Version hatte ich versucht, einige Punkte einer Diskussion nachzuzeichnen ... halt, da geht's schon wieder los, ich höre j e t z t auf.

  • #4

    Christian (Mittwoch, 15 Juni 2016 19:43)

    "Dies gelte als Vernunftprinzip:
    Die Ethik lenkt den Forschungstrieb"

    Woher bezieht denn die Ethik ihre übergeordneten Prinzipien?

  • #5

    Tünn (Mittwoch, 15 Juni 2016)

    Die Kurzform meiner Antwort: Ich weiß es nicht.

    Wenn ich mich an die Antwort herantaste, so glaube ich: Die Ethik muß ihre Prinzipien letztlich aus der Vernunft beziehen. Welche Rolle zusätzlich Gefühle wie z.B. Mitleid spielen, darüber müßte ich noch nachdenken, aber spontan würde ich Gefühle bei Prinzipien eher außen vor lassen.

    Ich weiß von den verschiedenen Theorien der Ethik wie Pflichtenethik, Tugendethik, Nutzenethik, ... nicht sehr viel. Mir scheint, daß sie alle „Vernunftprodukte“ sind, daß sie aber auch trotz superkluger Ansätze und Lösungsvorschläge alle ihre Probleme kriegen, wenn es konkret wird, wenn sie auf die Vielfalt des menschlichen Handelns, der gesellschaftlichen Wirklichkeit angewendet werden sollen.

    Kants Idee des Kategorischen Imperativs finde ich z.B. sehr beeindruckend (soweit ich ihn verstanden zu haben glaube). Auch Kant setzt offensichtlich den Verstand ein, er definiert, nutzt Begriffe und Argumente, seine Argumentation verläuft streng rational, von der Vernunft geleitet: auf der Suche nach einem allgemeinen Sittengesetz, und auch vom Handelnden fordert er eine vernünftige Abwägung der verschiedenen Einflußfaktoren. Gefühle und Neigungen spielen hier keine moralisch relevante Rolle.

    Wenn jeder so handeln soll, daß die Leitlinie seines Handelns jederzeit als Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könne, sollte das in meinen Versen geschilderte Phänomen: „Der Fortschritt fordert Kinderleichen“ nicht auftreten. Zwar ist letzteres gesellschaftliche Realität, „f a k t i s c h e s Gesetz“: Geld wird in die Raumfahrt investiert, statt Kinder zu ernähren. Aber es handelt sich nicht um ein a l l g e m e i n e s Gesetz: Dieses würde eben verlangen, daß Kinder a l l e r Länder und a l l e r sozialen Schichten als Opfer herzugeben wären - und genau das würden die Eltern in den entwickelten Industrieländer nicht wollen können. Daß ihr Handeln zur Grundlage einer a l l g e m e i n e n Gesetzgebung werden solle, dürfen sie um den Preis des Überlebens ihrer Kinder nicht zulassen. Mit dem Ist-Zustand, daß „nur“ „Negerkinder“ geopfert werden, können die meisten von uns (ich nehme mich nicht aus) hingegen offenbar gut leben.

    Betrachten wir nun eine Ethik, die den Nutzen, die Freude, das Glück in der Welt maximieren und das Leid in der Welt minimieren will (auch diese scheint mir ein Verstandesprodukt zu sein) , so kämen wir zum nämlichen Ergebnis: Würde diese Ethik zulassen, daß täglich 10.000 Kinder verhungern (2008) und zusätzlich fast 800 Mio. Menschen an Hunger leiden (2015), damit als Nebenprodukt der Raumfahrtforschung Spezialschaum-Matratzen in den Handel kommen? [Ich überzeichne hier sehr einseitig und ignoriere wichtigere Errungenschaften der Raumfahrt wie eine zuverlässige [:-)] satellitengestützte Wettervorhersage, das ist mir klar!!!]

    Ich kann nicht glauben, daß es heutzutage überhaupt eine ethische Schule geben soll, die - insbesondere angesichts der Entwicklung der Produktivkräfte - den geschilderten Zustand verteidigen wollte (was andererseits darauf verweist, daß vielleicht gar nicht die Raumfahrt das wesentliche Problem ist, sondern die gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, ... Verhältnisse?). Vor diesem Hintergrund wäre es ein großer Fortschritt, wenn „die Ethik“ (welche konkrete auch immer) eine bzw. die zentrale Lenkungsfunktion bei der Forschung (und nicht nur dort) innehätte.

  • #6

    Richard (Dienstag, 21 Februar 2017 13:02)

    "Unicef schlägt Alarm: 1,4 Millionen Kindern droht der Hungertod"
    21.02.2017
    http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_80420246/unicef-alarmiert-1-4-millionen-kindern-droht-der-hungertod.html

  • #7

    Mecki (Freitag, 10 April 2020 08:03)

    "Er glaube, die Welt steuere auf ein zivilisationsbedrohendes Szenario zu, etwa einen 3. Weltkrieg, erklärte Musk* in einem Interview, weshalb er dafür sorgen wolle, dass ein "Samen" der Menschheit überlebe. Sein Weltraumunternehmen SpaceX habe auch das Ziel vor Augen, dafür zu sorgen, dass die menschliche Zivilisation "irgendwo anders" überlebe, sobald sie auf der Erde zusammenbreche. ... Dies soll auf dem Mars geschehen."
    https://www.heise.de/tp/features/Der-Exodus-der-Geldmenschen-4110247.html

    *Ja, genau, der Tesla, PayPal- und SpaceX-Musk.