4.12.20

Eine Politik der Bergpredigt?

Oder:

Russland überfordern und aus der Balance bringen ...

 

 

0. Inhalt

 

1. Ein kleiner Tipp vorab

2. Warum ich diesen Text schrieb

3. Die Politik der Bergpredigt

4. RAND Corporation: Russland überfordern und aus der Balance bringen

5. Biden, Merkel und die Bergpredigt

6. Literaturhinweise

 

 

1. Ein kleiner Tipp vorab

 

Wer im Englischen mit der einen oder anderen Lücke zu kämpfen hat, mag sich beim etwaigen Lesen der Originalquellen (wie ich dies teilweise getan habe) eines Übersetzungsprogramms bedienen. Ich habe z.B. DeepL genutzt.

 

 

 

2. Warum ich diesen Text schrieb

 

Vor einigen Jahren stieß ich auf ein Buch von Franz Alt1:

 

Frieden ist möglich. Die Politik der Bergpredigt

 

Ich hatte immer mal wieder vorgehabt, Buch und Thema bei den Meller Hobbyphilosophen vorzustellen. Aus verschiedenen Gründen ist daraus nie etwas geworden.

 

Nun fiel mir beim Überfliegen der NachDenkSeiten vor einigen Tagen ein Link auf die Website der

RAND Corporation auf.

 

Die RAND Corporation (englisch research and development „Forschung und Entwicklung“) ist ein Think Tank in den USA, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde, um die Streitkräfte der USA zu beraten.“ (wiki)

 

Wikipedia schreibt weiter:

 

Zu den von RAND bearbeiteten Themen gehörten in den letzten Jahren unter anderem Strategien zur Destabilisierung Russlands“

 

Die meisten Aussagen in Franz Alts Buch aus dem Oktober 1983 sind (leider) nach wie vor aktuell, was das RAND-Papier mit seinen zu Wort und Geist der Bergpredigt in deutlichem Widerspruch stehenden Überlegungen aufs Neue deutlich macht.

 

Laut einer Internetrecherche hat keines unserer etablierten Medien über die RAND-Studie berichtet - Grund genug, meine bescheidenen Möglichkeiten zu nutzen, um euch beide, meine liebe Leserin, mein lieber Leser, mit einigen ihrer Aussagen bekannt zu machen.

 

_____

1 Franz Alt (...) ist ein deutscher Journalist und Buchautor. (...) Von 1968 bis 2003 arbeitete er überwiegend beim Südwestfunk (SWF,

   heute: SWR), für den er 20 Jahre lang das Politmagazin Report moderierte.[1][2] Die Veröffentlichung des Buchs Frieden ist möglich, in

   dem Alt Zweifel an der Politik der Nachrüstung anmeldete, führte zu jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen zwischen Alt und

   seinem Sender. Von 1992 bis 2003 leitete Franz Alt die Zukunftsredaktion im SWR und moderierte außerdem in 3sat die Magazine

   Querdenker und Grenzenlos. Seine Bücher wurden in zwölf Sprachen übersetzt und erreichten eine Auflage von über zwei Millionen.“

    https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Alt_(Journalist)

 

Seite 1/6

 


 

3 Zunächst aber: Die Politik der Bergpredigt

 

Alts Buch war ein Beitrag zur Diskussion über die Stationierung neuer US-Atomraketen in Westeuropa, auch in der BRD. (Zum Auffrischen des Hintergrunds lohnt vielleicht ein Blick in den Wikipedia-Artikel zum sog. 

NATO-Doppelbeschluss.)

 

Seine Orientierung an der Bergpredigt verweist auf ein der offiziellen „Nachrüstungspolitik“ diametral entgegengesetztes Herangehen an die Frage, wie man sich im Atomzeitalter einem tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner gegenüber sinnvollerweise verhalten sollte.

 

Für wenig bibelfeste Menschen druckt der Autor den Text der Bergpredigt in Gänze ab. Drei

(wie mir scheint) zentrale Botschaften:

  • Selig, die keine Gewalt anwenden
  • Selig, die Frieden stiften
  • Liebet eure Feinde

 

Die Aussagen von Franz Alt sind auch heute noch lesenswert. Einige Zitate:

(Seitenangaben in Klammern; fett von mir)

  • Wir ... bereiten militärisch das Ende der Schöpfung vor (23)
  • Die neue Ethik der Bergpredigt ... heißt hingegen: wenn du Frieden willst, bereite den Frieden vor; wer Krieg vorbereitet, wird Krieg bekommen. (29)
  • Wir können heute in Stunden vernichten, was in vier Milliarden Jahren gewachsen ist. (31)
  • Den atomaren Holocaust verhindern wir durch Aussöhnung und Feindesliebe oder gar nicht. (32)
  • Im Atomzeitalter heißt unsere Alternative nicht mehr Krieg oder Frieden, sondern Vernichtung oder Frieden! (35)
  • Spätestens jetzt im Atomzeitalter müssen wir begreifen, daß unsere eigene Sicherheit immer auch die Sicherheit des Gegners ist. (36)
  • Nach allem, was wir heute wissen, war die Welt während der Kuba-Krise 1962 dem Abgrund am nächsten. Die Sowjetunion war damals dabei, auf Kuba Atomraketen zu installieren. Die USA wollten dies vor ihrer Haustür [sic!] um jeden Preis verhindern - auch um den Preis eines Atomkriegs! Die Sowjets gaben schließlich im letzten Augenblick nach2. (38)
  • Die irrationale Angst des Gegners vor mir wird nicht dadurch rationaler, daß ich ihm immer weiter Angst mache. Angst machen ist immer schon eine Bedingung von Krieg gewesen.3 (36)
  • Carl Friedrich von Weizsäcker: Wenn man den russischen Bären in die Ecke treibt, ist die Gefahr groß, daß er springt. Und das hieße: Atomares Schlachtfeld Europa. Im Westen wird oft übersehen, daß die Sowjetunion allein vier anderen Atommächten gegenübersteht: den USA, Frankreich, England und China. (54)
    China zählt nicht mehr dazu. Dennoch: Die restlichen drei Länder geben mit 830,8 Md. $ fast 13 Mal so viel für Rüstung aus wie Russland. Dazu kommen noch die anderen NATO-Staaten ... Zu den Rüstungsausgaben 2019 siehe SIPRI4
  • Feindesliebe heißt, sich in die Situation und in die Sicherheitsinteressen des anderen hineinzudenken (88)
  • Eine vernünftige Politik versucht nicht, durch Nachrüstung die gefährliche Situation noch gefährlicher zu machen. Die einzig rationale Entscheidung heute ist: die Gefahr behutsam abzubauen versuchen. (106)

_____

2Die Kubakrise (...) im Oktober 1962 war eine Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der UdSSR, die sich

   aus der Stationierung US-amerikanischer Jupiter-Mittelstreckenraketen auf einem NATO-Stützpunkt in der Türkei und die daraufhin

   beschlossene Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba entwickelte. (...)

   Dabei wurde [seitens der USA, Tünn] selbst ein nuklearer Erstschlag nicht ausgeschlossen, der den Gegner durch massiven Einsatz

   von Kernwaffen vernichten und jede Vergeltung unmöglich machen sollte.“

   „Der BND besaß seit Juni 1962 Informationen über den Ausbau der Basen für Mittelstreckenraketen und wertete diesen als gefährliche

   Provokation der USA durch die Sowjetunion.[4]“

   „Man müsse sofort mit Luftangriffen und anschließender Invasion handeln. Air-Force-General Curtis E. LeMay drängte auf einen

   Angriff: „Der rote Hund gräbt im Hinterhof der USA und muss dafür bestraft werden.““

   https://de.wikipedia.org/wiki/Kubakrise

   Die Einschätzung des BND wie auch die Position von LeMay zeigen, dass dem Gegner das Recht auf ein dem eigenen Handeln

   adäquates Reagieren durchweg abgesprochen wird. Ein auch derzeit noch gültiges Muster, wie ein Blick in das Papier der RAND

   Corporation zeigen wird.

 

3 „Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit baut die NATO an ihrem Raketenabwehrschild. Eine Radarstation mit Abwehrraketen soll heute

   in Rumänien für einsatzfähig erklärt werden - eine Provokation für Moskau. (...) Schon am Freitag soll in Polen der erste Spatenstich

   für eine weitere Raketenbasis erfolgen. Moskau argwöhnt schon länger, dass sich das System vor allem gegen Russland richte, weil es

   die Fähigkeit zu einem nuklearen Vergeltungsschlag verringern könnte. "Mit dem NATO-Raketenabwehrsystem ist die Fähigkeit

   gegeben, Russlands Nuklearpotenzial zu neutralisieren. ...“ (...) Die drohende Eskalation wäre vermeidbar gewesen. Schon 2007 bot

   Russlands Präsident Wladimir Putin dem Westen eine Kooperation bei der Raketenabwehr an. Dafür sollte die russische Radarstation in

   Gabala in Aserbaidschan in das System eingebunden werden. US-Experten besichtigten die Anlage aus Sowjetzeiten in der Folge auch,

   urteilten aber, dass sie veraltet und deshalb unbrauchbar sei. Obwohl Moskau eine Modernisierung in Aussicht stellte, wurde das

   Angebot schließlich abgelehnt." https://www.tagesschau.de/ausland/nato-raketenabwehr-103.html (Der Link aus 09/18 wurde

   deaktiviert. Da hat wohl jemand ganz dringend Platz in der Cloud gebraucht ...)

 

4 "Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI, deutsch Stockholmer internationales Friedensforschungsinstitut) ist

   eine Einrichtung zur wissenschaftlichen Arbeit an Fragen von Konflikten und Kooperationen im Kontext globaler Entwicklungen bei

   Frieden und Sicherheit. Das SIPRI wurde 1966 in Form einer Stiftung durch die schwedische Regierung gegründet."

   https://de.wikipedia.org/wiki/Stockholm_International_Peace_Research_Institute

 

Seite 2/6

 


 

4. Das Kontrastprogramm: Russland aus der Balance bringen

 

Titel und Untertitel der Studie aus 2019 deuten an, in welche Richtung es im Folgenden gehen wird:

(Übersetzung und farbige Markierungen von mir)

 

Russland überfordern und aus der Balance bringen

Bewertung der Auswirkungen kostenaufbürdender Optionen

 

In diesem Kurzdossier wird ein Bericht zusammengefasst, in dem gewaltfreie, kostenaufdrängende Optionen umfassend untersucht werden, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bereichen verfolgen könnten, um die Wirtschaft und die Streitkräfte Russlands sowie das politische Ansehen des Regimes im In- und Ausland zu belasten: zu überfordern und aus dem Gleichgewicht zu bringen.“

 

Es geht darum, „Russland neue Lasten aufzubürden, im Idealfall schwerere Lasten, als sie den Vereinigten Staaten bei der Verfolgung dieser Optionen auferlegt würden.“

 

Die Arbeit baut auf dem Konzept des langfristigen strategischen Wettbewerbs auf, das während des Kalten Krieges entwickelt wurde und von dem einige auf RAND zurückgehen.“

 

Gleich zu Beginn finden wir als eine der möglichen Maßnahmen „die Verhängung tiefer-gehender Handels- und Finanzsanktionen“, um die russische Wirtschaft zu schwächen. Demnach scheint es sich bei Sanktionen nicht um anlassbezogene Maßnahmen zu handeln mit dem Ziel, aus Sicht der USA unbotmäßiges russisches Verhalten zu beeinflussen, sondern schlicht die Wirtschaft - nun ja: einfach so ... möglichst zugrunde zu richten.

 

Verbesserte Möglichkeiten für Europa, Gas von anderen Lieferanten als Russland zu importieren“ verweist direkt auf die Auseinandersetzungen um die Pipeline Nordstream 2 und zeigt, dass es sich bei den hier behandelten Optionen um alles andere als um theoretische Spekulationen, geschweige denn Spielereien handelt.

 

Vor dem Hintergrund der Klagen über eine angebliche russische Einmischung in US-Wahlen klingen die folgenden Punkte einigermaßen interessant:

 

Ein schwindendes Vertrauen in das russische Wahlsystem“ zu erzeugen, „den Eindruck zu erwecken, das Regime verfolge nicht das öffentliche Interesse“, die Förderung inländischer Proteste und anderer gewaltloser Widerstände, eine „Untergrabung des Ansehens Russlands im Ausland“, ... nichts davon ist neu, und die Liste ist keineswegs vollständig, wie uns die Geschichte zu zeigen vermag. Nur drei Beispiele:

 

 

Die New York Times vom 17.2.18:

 

Nicht nur Russland mischt sich in Wahlen ein. Wir tun es auch.

 

Koffer voll Bargeld - für bevorzugte italienische Kandidaten an ein Hotel in Rom geliefert. Skandalgeschichten an ausländische Zeitungen durchgestochen, um eine Wahl in Nikaragua herumzureißen. Millionen Broschüren, Poster und Aufkleber gedruckt, um einen Amtsinhaber in Serbien zu schlagen.
Der lange Arm von WladimirPutin? Nein, nur eine kleine Auswahl der US-Geschichte von Einmischungen in ausländische Wahlen."

 

 

Der SPIEGEL zu Jelzins Wahlsieg 1996:

 

Propaganda - „Eine verdammte Lüge“

 

Erst nach seinem Sieg präsentierte das US-Magazin Time alle Details des fremden Eingriffs in Rußlands innere Angelegenheiten. Das Unternehmen lenkte Wirtschaftsberater Felix Braynin, (...) "Geheimhaltung war oberstes Gebot", erzählte er nachher. (...)

   Am 27. Februar, als Jelzins Popularität laut Umfragen auf fünf Prozent abgesunken war, traf sich Dresner mit Vizepremier Oleg Soskowez, dem Wahlkampfmanager Jelzins. (...)

   Sie rieten zu einer Diffamierungskampagne gegen Sjuganow durch "Wahrheitsschwadronen", die ihn auf seinen Kundgebungen aus der Fassung bringen sollten. (...)

   Die Fachleute aus Übersee wehrten sich gegen ein Fernsehduell der beiden Kandidaten, das Jelzin verloren hätte, ... Dessen Begründung, ein  Wahlsieg der Kommunisten könne zum Bürgerkrieg führen, aber erfreute die PR-Leute: Sie selbst hatten diese Parole in Umlauf gesetzt. (...)

   Verdeckte Manipulation führt zum Erfolg, so Time, "auch wenn diese Mittel nicht immer respektabel sind.“

 

 

Beatrice Heuser, Historikerin und Politikwissenschaftlerin, in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte:

 

Die USA und Großbritannien wollten diese politische Konzeption [Roll-Back-Politik, Tünn] verwirklichen, indem sie Widerstandsbewegungen in den osteuropäischen Ländern durch Waffenlieferungen und Propaganda unterstützten, aber auch antikommunistische Exilanten einschmuggelten, die dort Widerstand organisieren sollten.“ (Weitere Beispiele im Original und in Dialogform hier.)

 

Da nehmen sich die Überlegungen der Rand Corporation schon fast harmlos aus.

 

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Bei den militärischen Maßnahmen wird die Entgegensetzung zur Politik der Bergpredigt noch deutlicher:

 

Umpositionierung von Bombern und Jagdflugzeugen, um wichtige strategische Ziele in Russland leicht erreichen zu können. Stationierung zusätzlicher taktischer Nuklearwaffen an Standorten in Europa und Asien. Neupositionierung der amerikanischen und verbündeten ballistischen Raketenabwehrsysteme. Verstärkte Präsenz der US-amerikanischen und alliierten Seestreitkräfte in Russlands Operationsgebieten. Aufstockung der amerikanischen Streitkräfte in Europa, Erhöhung der Bodenfähigkeiten der europäischen NATO-Mitglieder und Stationierung einer großen Zahl von NATO-Streitkräften an der russischen Grenze. Erhöhung des Umfangs und der Häufigkeit von NATO-Übungen in Europa. Groß angelegte NATO-Übungen, die in der Nähe der russischen Grenzen abgehalten werden, sowie Übungen, bei denen Gegenangriffs- oder Angriffsszenarien geübt werden. (...)

 

Interessant die folgenden Aussage:

 

Russland strebt keine militärische Parität mit den Vereinigten Staaten an“.

 

Mehrmals werden russische Furcht und Befürchtungen erwähnt. So ist im Papier die Rede von einer

 

russischen Verwundbarkeit, die einhergehe „mit tief verwurzelten (wenn auch übertriebenen [sic!]) Befürchtungen hinsichtlich der Möglichkeit eines vom Westen inspirierten Regime-wechsels, des Verlusts des Großmachtstatus und sogar eines militärischen Angriffs.“

 

Wie schrieb Franz Alt:

 

Die irrationale Angst des Gegners vor mir wird nicht dadurch rationaler, daß ich ihm immer weiter Angst mache. Angst machen ist immer schon eine Bedingung von Krieg gewesen.

 

und

 

Carl Friedrich von Weizsäcker: Wenn man den russischen Bären in die Ecke treibt, ist die Gefahr groß, daß er springt. Und das hieße: Atomares Schlachtfeld Europa.

 

Eine Idee aus der Zeit des Kalten Krieges findet sich auch im vorliegenden Dossier wieder:

 

Die Vereinigten Staaten könnten Russland in ein kostspieliges Wettrüsten treiben

 

Sie wurde seinerzeit erfolgreich praktiziert:

 

"Der im November 1980 gewählte US-Präsident Ronald Reagan erhöhte die Rüstungsausgaben der USA enorm und lehnte den noch nicht ratifizierten SALT-II-Vertrag ab.[29] Er ließ die Produktion von Mittelstreckenraketen verdreifachen und sprach vom Totrüsten des Ostens.“

https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Doppelbeschluss

 

 

Aus den Schlussfolgerungen der RAND-Corporation:

 

»Die vielversprechendsten Optionen zur "Überdehnung Russlands" sind jene, die direkt auf seine Verwundbarkeiten, Ängste und Stärken eingehen, indem sie Schwächen ausnutzen und gleichzeitig Russlands gegenwärtige Vorteile untergraben.«

 

Die meisten der diskutierten Optionen, einschließlich der hier aufgeführten, sind in gewisser Weise eskalierend und würden höchstwahrscheinlich eine russische Gegeneskalation auslösen. Neben den spezifischen Risiken, die mit jeder Option verbunden sind, besteht also ein zusätzliches Risiko, das mit einem allgemein verschärften Wettbewerb mit einem nuklear bewaffneten Gegner verbunden ist, den es zu berücksichtigen gilt. Das bedeutet, dass jede Option bewusst geplant und sorgfältig kalibriert [sic!] werden muss, um den gewünschten Effekt zu erzielen.“

 

[... und um dem russischen Bären nicht (unbeabsichtigt?) das Gefühl zu vermitteln, er müsse springen ...]

 

Alle behandelten Optionen werden einer kurzen Bewertung unterzogen. Zu jeder gibt es ein „Aber“. Von Kosten und Risiken ist die Rede, von Gefährdung, gar von Gefahr, von Schwierigkeiten ... weshalb etliche der angedachten Maßnahmen nicht empfohlen werden.

 

 

Zwei meiner Schlussfolgerungen:

 

Ein unbeteiligter Beobachter könnte angesichts dessen zu dem Ergebnis gelangen, dass es nicht nur für Russland, sondern für jeden beliebigen Staat vorteilhaft sein mag, die Kosten einer Einmischung der USA in seine Angelegenheiten möglichst hoch ausfallen zu lassen.

 

Und:

 

Nichts von dem, was wir im Papier der RAND-Corporation präsentiert bekommen, lässt sich auch nur ansatzweise mit den Inhalten der Bergpredigt in Übereinstimmung bringen.

 

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5. Biden, Merkel und die Bergpredigt

 

Wie aber steht Gevatter Biden zu einer Politik der Bergpredigt? Ein Blick in die Vergangenheit mag hier weiterhelfen. Diesen bietet z.B. eine Monitor-Sendung vom 12.11.20 mit dem Titel

 

Rückkehr der US-Falken: Das Netzwerk von Joe Biden“.

 

Einige Aussagen aus dem nicht ganz sieben Minuten langen Beitrag:

 

  • OFF
    „Joe Biden hatte die Außenpolitik der USA über Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt.“
    (Minute 1:27)
  • Edward Knudsen, Politikwissenschaftler und Aktivist:
    „Joe Biden glaubt ganz gewiss an das, was er Amerikas Führungsrolle nennt. Das bedeutet Vorherrschaft der USA und militärische Intervention. Er glaubt, Amerika habe das Recht, überall und jederzeit zu intervenieren.“ (1:50)
  • OFF:
    „Biden war als US-Senator vehementer Verfechter von US-Militärinterventionen. Etwa in Serbien 1999 oder in Afghanistan 2001. Und auch bei der Entscheidung, im Irak einzumarschieren und Saddam Hussein zu stürzen, spielte Biden eine entscheidende Rolle.“ (2:03)
  • OFF:
    „Heute schlägt Biden auch gemäßigte Töne an. Er wolle endlose Kriege beenden und US-Truppen abziehen. Er wolle zurück zum Atomabkommen mit dem Iran und die US-Unterstützung im Jemenkrieg beenden. Also doch mehr Diplomatie und weniger militärische Muskelspiele?“ (4:30)
  • OFF
    „Daran kann man Zweifel haben, wenn man sich anschaut, wer Joe Bidens außenpolitische Berater sind. Michèle Flournoy zum Beispiel. Ehemalige hochrangige Mitarbeiterin des US-Verteidigungsministeriums unter Obama. Sie kritisierte den US-Truppenabzug in Afghanistan und forderte deutlich höhere Militärausgaben. Flournoy arbeitet heute für verschiedene Unternehmensberatungen, die offenbar über beste Kontakte zur Rüstungsindustrie verfügen. Unter anderem für Booz - Allen - Hamilton, die Militärs in Sachen neuer Technologien beraten.“ (4:45)

  • (...)

 

Erst neulich betonte Biden den weltweiten Führungsanspruch der USA. Von daher lässt sich wohl kaum völlig ausschließen, dass er zumindest auf dem Gebiet der Außenpolitik den Ratschlägen der RAND-Corporation und ähnlicher Think Tanks eher ein offenes Ohr leihen wird als den Worten Jesu. Schade. Doch möglicherweise hat ja einer seiner Berater das Buch von Franz Alt gelesen und sorgt im Oval Office für ein großes Hallo, indem er also spricht:

 

Eine vernünftige Politik versucht nicht, durch Rüstung die gefährliche Situation noch gefährlicher zu machen. Die einzig rationale Entscheidung heute ist: die Gefahr behutsam abzubauen versuchen.

 

 

Und Mutti Merkel möchte man beim nächsten EU-Gipfel die Worte in den Mund legen:

 

Als Pfarrerstochter ist mir die Bergpredigt nicht fremd. Deshalb: So sehr ich mich 2003 im Falle des Irak für den Krieg eingesetzt habe, so vehement trete ich nun für den Frieden ein. Den neuen US-Präsidenten Biden fordere ich auf, die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Nein, ich bin beileibe nicht die Erste, die dazu aufruft.

 

Unser heutiger Bundespräsident verlangte in seiner Funktion als Außenminister im April 2009 den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland. Im Koalitionsvertrag der Unionsparteien und der FDP sagte die Bundesregierung 2009 den Abzug der Atomwaffen aus Büchel zu. Im Oktober 2009 forderte der zukünftige Außenminister Westerwelle im Wahlkampf den Abzug der letzten Atomwaffen. Meine Wenigkeit in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin bestand jedoch - Asche auf mein Haupt! - darauf, dass die Verhandlungen über den Abzug der Raketen gemeinsam mit den anderen NATO-Ländern und keinesfalls im Alleingang durchgeführt werden sollten. Westerwelle begann dann als Bundesminister des Auswärtigen die Debatte erneut im Februar 2010 mit einem Brief an die NATO. Im März 2010 beschloss gar der Bundestag mit breiter Mehrheit, die Bundesregierung solle sich „gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einsetzen.“

 

Die Verfügungsgewalt über die in Deutschland vorhandenen amerikanischen Atomwaffen steht dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu! Eine derartige Einschränkung unserer Souveräni-tätsrechte scheint mir nicht mehr zeitgemäß, vielmehr überflüssig und - ja: gefährlich! Und das sage ich nicht nur im Hinblick auf unsere Erfahrungen mit dem noch amtierenden Präsidenten Trump.

 

Ein kleines Buch eines klugen Mannes hat mich nachdenklich gestimmt. Dieser skizzierte im Jahre 1983 eine „Politik der Bergpredigt“ und schrieb in nämlichem Zusammenhang sinngemäß:

 

Jede künftige internationale Krise kann Auslöser des atomaren Holocaust sein.“

 

Und:

 

Es kann nicht in unserem Interesse sein, als atomare Abschußrampe der USA und atomare Zielscheibe Russlands zu dienen.“

 

 

*** Jawoll! ***

 

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6. Verwendete Literatur

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ukraine (Montag, 30 Mai 2022 12:21)

    Die Studienenthält auch Aussagen zur Ukraine, u.a.:

    "Providing lethal aid to Ukraine would exploit Russia’s greatest point of external vulnerability. But any increase in U.S. military arms and advice to Ukraine would need to be carefully calibrated to increase the costs to Russia of sustaining its existing commitment without provoking a much wider conflict in which Russia, by reason of proximity, would have significant advantages."
    Die Bereitstellung tödlicher Hilfe für die Ukraine würde die größte Schwachstelle Russlands ausnutzen. Eine Aufstockung der US-Militärwaffen und -beratung für die Ukraine müsste jedoch sorgfältig abgewogen werden, um die Kosten für Russland zu erhöhen, wenn es sein bestehendes Engagement aufrechterhält, ohne einen viel größeren Konflikt zu provozieren, in dem Russland aufgrund seiner Nähe erhebliche Vorteile hätte.