Einige Anmerkungen des geneigten Verfassers zu seinem Machwerk "Der Omnivore"

 

 WARNUNG:

Die Lektüre dieses Textes kann zu Verstimmungen, Irritationen und mieser Laune führen!

 

Ich dachte, ich hätte ein Tierschutzgedicht geschrieben.

 

Das Bild mit der dreibeinigen Kuh gibt es tatsächlich, wahrscheinlich sogar in mehreren Ausführungen. Auf einer Peta-Seite sehen wir ein dreibeiniges Kalb. Es sagt (oder denkt): „FUCK!“. Darunter ein Zitat: „Ich esse auch nur ganz wenig Fleisch“.

 

Dieses Bild habe ich versucht in Worte zu fassen.

 

Das scheint mir nicht - zumindest nicht allgemein verständlich - gelungen zu sein.

 

Es ist mir aber wichtig! Deshalb werde ich nun eine Analyse einiger Aspekte meines eigenen Gedichts vornehmen und damit Generationen von zukünftigen Germanistikstudenten viel Mühe ersparen.

 

Formale Aspekte bleiben außen vor. Schließlich bezieht sich die Kritik auf den Inhalt der Verse.

 

Meine Hauptthese: Das Gedicht könnte auch „Der Tierquäler“ heißen.

 

Die Hauptaussage: Wenn ich Fleisch esse, sei es auch selten, wenig, Bio, dann schneidet man einem Tier ein Körperteil ab. Oder heraus.

 

Die Konsequenz: Der Fleischesser ist ein Tierquäler.

 

Wichtig für die Wirkung eines Gedichts ist ja vermutlich der Held. Fangen wir also mit ihm an. Ist er eine positive Identifikationsfigur? Oder nervt er eher? Quakt dummes Zeug?

 

Mal sehen.

 

In mancher Hinsicht kommt er ganz normal rüber: Er isst Fleisch, selten, wenig, einem Manager der Fleischindustrie vermutlich zu wenig, einer ethisch motivierten Veganerin ohne Frage zu viel. Bio, immerhin, das macht für die betroffenen Tiere hoffentlich einen Unterschied. Und vermutlich liegt er mit seinem Konsum unter der durchschnittlichen 60-Kilo-Marke und verbraucht weniger als die bis zu 715 Tiere, die ein „normaler“ Deutscher in seinem Leben aufisst. Das hört sich erst mal positiv an.

 

Was noch?

 

Er ist ehrlich. Hat auch ein gewisses Bewusstsein seines Tuns und nennt die Dinge offen beim Namen. Vielleicht wirkt diese Offenheit auf uns verstörend? Mehr dazu weiter unten.

 

Er erkennt das millionenfache Leid, das er und seinesgleichen verursachen - um des Genusses willen: „Der Preis für derlei Köstlichkeit ...“. Warum ist hier nicht von gesundheitlichen Aspekten der Ernährungsweise die Rede? Vielleicht spielt dies für unseren Helden keine Rolle. Oder das Gedicht sollte nicht noch länger werden ...

 

Des weiteren positiv: Er leidet mit, wenn Tiere leiden. Zumindest behauptet er das. Sein reduzierter Konsum mag ein Indiz dafür sein, dass er es ehrlich meint. Er will sich weiter einschränken. Bravo, möche man sagen.

 

Aber dann:

 

Was soll das mit dem halben Bein?!

 

Das ist so seine Art, die Dinge beim Namen zu nennen, auf Euphemismen zu verzichten. Das, was ich oben unter „positiv“ eingeordnet habe, mag ihn nun hier Sympathien kosten. Noch einmal:

 

Wenn ich Fleisch esse, sei es auch selten, wenig, Bio, dann schneidet man einem Tier ein Körperteil ab oder heraus.

 

Dies wird im Gedicht sehr deutlich ausgedrückt. Das bedeutet es, wenn in der vorletzten - wichtigsten! - Strophe von „Blut und Schmerz und Qual und Pein“ die Rede ist. Geht vielleicht ein wenig unter bei all den in ihrer Deutlichkeit provozierend wirkenden Sprüchen.

 

Steht hier also ein positiver Held vor uns?

 

Betrachten wir seine andere Seite:

 

Den Spruch mit dem echten Mann mag man sehr schnell als etwas dümmlich abtun. Sollte es sich um „gewisse Kreise“ handeln, in denen Männer stolz darauf sind, Männer zu sein, liegt man mit dieser Einschätzung womöglich richtig. Bei körperlich schwer Arbeitenden stellt sich die Frage eventuell auf andere Weise.

 

Die Folgestrophe hat es in sich: Das hier reklamierte Recht (die Kreatur zu dominieren) lässt sich u.a. auf ein weit verbreitetes religiöses Buch zurückführen, das unsere westliche Kultur stark geprägt hat und auch heute nicht ohne Einfluss ist. Da kann man sinngemäß lesen, dass der Mensch über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh auf der ganzen Erde herrschen solle, auch über alles, was auf Erden kriecht. Nicht jeder nimmt sämtliche Aussagen dieses Buchs heutzutage noch wörtlich, aber was Tiere angeht, ist solch Denken (und das entsprechende Handeln) weiterhin Ouzo!

 

Nun regt sich der Held plötzlich tierisch (sorry) darüber auf, dass diese jahrtausendealte Tradition nicht mehr gelten soll, ja, dass es plötzlich gar als schlecht gelte, Tiere massenhaft(!) zu massakrieren(!) - was laut Duden bedeutet: 1. in grausamer, brutaler Weise umbringen; 2. quälen. Es geht hier also nicht nur um ein Wortspiel. Möglicherweise hat er (nein, nicht der Duden) besagtes Buch falsch verstanden, aber erneut nennt er die Dinge bei ihrem Namen.

 

So sehr wir Letzteres (zumindest theoretisch) schätzen mögen, echte Pluspunkte sammelt der Protagonist bei einem Thema wie dem unseren auf diese Weise nicht!

 

Wenn er dann gar so weit geht, dass der Mensch sich über den Grill definiert und das Tier seine Daseinsberechtigung aus seinem Status als menschliches Nahrungsmittel bezieht, wird er schon ziemlich abstrus. Seine Beurteilung des Tofu-Geschmacks könnte dezenter ausfallen (auch hier wieder diese kompromisslose, ja: beleidigende Offenheit!), der Lobgesang auf das Genussmittel Fleisch bekommt einen unangenehmen Beigeschmack nicht nur dadurch, dass er uns gleichzeitig schildert, wie dieses Leckerli zustandekommt, sondern auch durch das Bild des fleischfressenden Babys ... Ich sehe Rosemaries Baby vor mir ... Grusel!

 

Oder zielt der Autor hier eher auf eine komische Wirkung ab? Ist das eine oder andere vielleicht auch ironisch oder satirisch gemeint, das lyrische Subjekt eine Karikatur? Ließe sich so etwas mit einem derart ernsten Thema überhaupt vereinbaren?

 

Auf jeden Fall scheinen wir keinen durchgängig positiven Helden vor uns zu haben. Er wirkt eher ... widersprüchlich, wie wir Menschen nun mal sind.

 

Sein Verdienst(?!):

 

Durch konsequent mitleidloses Auftreten holt er die versteckte, untergründige Brutalität und Grausamkeit des Omnivoren - auch des Gelegenheitsomnivoren! - an die Oberfläche. Eben wenn er im Plauderton verrät, dass er gerade neulich jenes Bein, das der Kuh auf dem Bild fehlt, aufgegessen hat oder völlig ungerührt zuschaut und schildert, wie man dem kleinen Kälbchen ein Bein abschneidet.

 

Das normale, allgemeine, anonyme Fleischessen wird persönlich und konkret. Ich sehe, was ich der Kuh angetan habe. Und was der Spruch „Ich esse wenig Fleisch“ bringt: Für diese Kuh bringt er nichts, sie leidet trotzdem.

 

Der Autor holt hier den Schlachthof - wenn auch in einer entschärften!!! Form - in den Alltag, ins Restaurant, ins Bewusstsein. Das aber macht diese Zeilen zu einem Tierschutzgedicht. Seine Lektüre mag kein Vergnügen sein. Wir sind verstört, gar angeekelt. Die Äußerungen des Omnivoren finden wir abstoßend, sein Handeln hingegen gilt als gesellschaftlich sanktioniert.

 

Und was ist mit BIO?

 

Unser Allesfresser scheint Bio für besser zu halten. Einiges spricht dafür, dass er damit richtig liegen könnte. Lesterschwein hat in ihrem Kommentar (#12) ein kleines Idyll für uns entworfen. Ganz sicher gibt es das auch in der Bio-Tierhaltung noch nicht durchgängig, doch man ist dort wohl auf einem guten Weg. Jeder kleine Vorteil ist für das einzelne Tier von enormer Bedeutung. Andererseits: Auch im Bio-Schlachthof, so es ihn denn überhaupt gibt, wird gestorben, getötet und damit - für manche von uns - gemordet ...

 

Der Omnivore - ein Anti-Fleisch-Gedicht?

 

Nein, zumindest nicht nur. Wer die Präsentation des Allesfressers so entschlüsselt, wie ich es soeben versucht habe, der mag schon ins Grübeln kommen. Ich würde eher sagen, es handelt sich um ein Anti-BVV-Gedicht. Wofür steht BVV? Für Beschönigen, Verleugnen, Verdrängen.

 

Das ist es, was wir ständig tun. Zum Beispiel, wenn wir empört reagieren, sollte uns jemand einen Tierquäler nennen. Wo wir doch Tiere lieben, Spinnen im Glas nach draußen tragen, nur Biofleisch essen ... und dabei wissen oder wissen könnten, dass spätestens mit dem Transport, der Ankunft im Schlachthof, der hoffentlich erfolgreichen Betäubung ... das Leiden begonnen hat.

 

Das ist es, was wir vermutlich tun müssen, um in unserem persönlichen und sozialen Leben zurechtzukommen. Von daher ist es legitim. Es ist aber auch in Ordnung, ab und zu genau darauf hinzuweisen, dies Verhalten auf seine Angemessenheit hin zu hinterfragen und zu prüfen, ob es an der Zeit für Änderungen sein könnte.

 

Ohne die angeführten „Überlebenstechniken“ würden wir möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass die Welt gar nicht so schön ist, wie es oft heißt*. Sie scheint ja ohne Fressen nicht zu funktionieren. Nun gibt es die Karnivoren und die Omnivoren. Steht das omni = alles bei Letzteren tatsächlich für ein MUSS? Oder vielleicht doch für ein KANN?

 

 ___

* https://www.diverseverse.de/philosophisches/die-welt-ist-sch%C3%B6n/

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Christine Rath (Mittwoch, 21 April 2021 15:36)

    Also, eigentlich könnte man die Carnivoren auch Omnivoren nennen, denn sie fressen ja auch teilweise Gemüse, wenn nicht direkt so doch über den Darm der gefressenen Tiere. Tierarzt Dr. Wolf empfiehlt sogar in seinem fantastischen Buch:Unsere Hunde- gesund durch Hömöopathie, ihnen 2/3 Gemüse zu geben. Einziger Nachteil,so schreibt er, sei , dass sie dadurch wahrscheinlich länger leben und...es kostet nicht extra wie die vielfach angekündigten Super-Futter...Wahrscheinlich kennt fast jeder von uns von früher einen „Straßenköter“, der z.B . 17 Jahre alt geworden ist...
    Das ist das eine...
    Das andere ist, dass ich sehr gern lebe und mich an so vielem erfreue. Das geht doch Tieren ähnlich. Wenn ich meinen Pelle beobachte, wie er mit größter Freude irgendeinem Teil, das ich werfe, hinterher springt... deutlicher kann man es kaum ausdrücken, wie man sich freut, dass man eben lebt.
    Oder wenn ich Menschen zeige, wie zart man beim Reiten mit den Pferden umgeht, so dass sie ihr Angespanntsein verlieren, und sie dann immer entspannter werden, anschließend in ihre Kraft kommen und stolz-irgendwann - mit ihren Muskeln ohne Angst spielen können, sieht man ihnen an , wie stolz sie sind und große Lebensfreude haben. Weg mit den blöden Sporen- die übrigens auf Turnieren vorgeschrieben sind ! Der größte Unsinn- natürlich von Menschen erdacht!
    Oder Kühe- sie genießen, wenn man sie streichelt .Das sieht man ihnen an!
    Ganz zu schweigen von Schweinen, die sich ja fast wie Hunde gebärden.
    Das Untier(Gewalt usw. ) ist immer der Mensch!
    Also, ich liebe es zu leben, und das gestehe ich jedem Lebewesen zu.
    Dann kann ich doch kein Fleisch essen!!!
    Ich jedenfalls möchte nicht, dass meinetwegen ein Tier stirbt!
    Deswegen trage ich auch keine Lederschuhe, - Jacke usw., habe keine Federn in der Bettdecke usw. Es gibt heute so viele andere gute Möglichkeiten-Gott-sei-Dank!
    Ich hätte noch so viele Argumente...
    Aber das reicht erstmal�

  • #2

    Tünn (Samstag, 24 April 2021 15:34)

    Hallo Christine,
    eine Reihe interessanter Dinge sprichst du in deinem Kommentar an. Danke dafür. Auch dein letzter Punkt scheint mir wichtig: „Deshalb trage ich auch keine Lederschuhe ... usw.“ Mittlerweile gibt es ja eine ganze Reihe von Produkten, die ohne tierische Bestandteile auskommen. Die Verwendung von alten Feuerwehrschläuchen z.B. finde ich recht originell und zudem umweltfreundlich. Der Markt für Erzeugnisse aus alternativen Materialien scheint zu wachsen. Das finde ich sehr erfreulich. Erfreulich finde ich auch, dass es deinem Pelle gut zu gehen scheint. Weiterhin alles Gute,
    Tünn